Wir leben in einer Zeit, in der es oft schnell gehen muss. Kurz angebunden in Wort und Schrift ist keine Seltenheit. Warum bleibt die Höflichkeit zunehmend auf der Strecke, gerade auch zwischen sich fremden Personen? Und: Warum ist sie trotzdem wichtig?
Eine E-Mail da, eine WhatsApp dort, zwischendurch ein Telefonat: Wir sind heute ständig am Kommunizieren, in ganz verschiedenen Medien. Dabei lässt immer mehr die KISS-Formel grüßen: Keep it simple, stupid! So fällt mir beispielsweise zunehmend auf, dass in der alltäglichen Kommunikation die Anrede weggelassen wird. Nicht mal mehr ein kurzes „Hallo“ oder ein reduziertes „S. G.“ (Sehr geehrter) – E-Mails und Briefe werden stets formloser, selbst (oder besonders) wenn man sich gar nicht kennt. Ebenso hält zunehmend ein Befehlston in die Kommunikation Einzug, sogar, wenn die Person etwas von einem haben möchte. Ich frage mich, wie es dazu gekommen ist und wo das hinführen soll, …
… wobei ich mich zuerst frage: Höflichkeit, was ist das eigentlich? Der Duden beschreibt es als „gesittetes Benehmen“, als freundliche und liebenswürdige Kommunikation. Freundlich und liebenswürdig scheint soweit klar, doch was sind „Sitten“? Es sind die Gewohnheiten und moralischen Normen einer Gemeinschaft. Folglich impliziert die Duden-Definition, dass Höflichkeit die kulturelle Norm unserer Gesellschaft ist (oder: sein sollte). Was dabei oft vernachlässigt wird: Höflichkeit drückt sich nicht nur durch gesprochene oder geschriebene Kommunikation aus, sondern auch durch nonverbale wie Gesten der Aufmerksamkeit. Im Prinzip ist jede Aktion von uns Kommunikation. Und jede kann höflich oder unhöflich sein.
Man kann nicht nicht kommunizieren. (Paul Watzlawick)
Wenn also Höflichkeit in unserer Kultur verankert ist, warum werden Sätze immer kürzer und Anreden immer formloser? Alles eine Frage der Zeit, sagen viele. Doch ist es so? Ist es eine Zeitfrage, jemanden die Sekunde einer Anrede zu schenken? Klar, jeder von uns hat nur eine gewisse Anzahl an Stunden zur Verfügung, doch reicht diese Zeit nicht zwischendurch für eine nette Anrede?
Vielleicht liegt die verknappte Anrede eher an der eigenen Bequemlichkeit. „S. G.“ geht schneller, als „Sehr geehrter“ zu tippen und obendrein den richtigen Namen zu ergänzen. Eine knappe Erklärung ist einfacher, als etwas ausführlich darzulegen. Man möchte Zeit sparen und es sich einfach machen. Und denkt dabei nur an sich selbst, nicht so sehr an den anderen, der sich durch unsere knappe Kommunikation vielleicht beleidigt fühlt – sie womöglich gar nicht versteht, da wir wichtige Infos weggelassen haben. War ja eine Frage der Zeit …
Dass man bei der Kommunikation in erster Linie an sich selbst denkt, bringt mich zu einem zentralen Punkt: dem scheinbaren Egoismus vieler Menschen heute. Man stellt den eigenen Wunsch nach Zeitersparnis oder die eigene Schreibunlust über die andere Person, womit man indirekt sich selbst über die andere Person stellt und ausdrückt, dass man sich höher schätzt, wichtiger nimmt. Wobei ich nicht nur von der jüngeren Generation spreche!
Wenn wir nun eins und eins kombinieren – Unhöflichkeit scheint (auch) auf Egoismus zurückzugehen und zuzunehmen – bedeutet das im Prinzip, dass die Welt egoistischer wird. Dass Egoismus zunehmend unsere Kultur prägt, die moralischen Werte, die wir besitzen. Die wiederum fliegen uns nicht einfach zu, sondern werden durch das Elternhaus, Erfahrungen, menschliche Begegnungen geprägt. Kurzum: Die moralischen Werte werden durch unser Umfeld, unsere Kultur bestimmt – unser Leben lang sowie ständig.
Nicht primär Zeitmangel scheint das Problem zu sein, sondern Feingefühl und Respekt.
Höflichkeit wird in unserer Kultur offenbar immer unwichtiger, rangiert in der heutigen Normvorstellung immer weiter unten. Wir schätzen uns selbst mehr wert und dadurch uns gegenseitig weniger. Es ist nicht primär die Zeit, die für eine ausformulierte Anrede mangelt, sondern das Feingefühl, der Respekt. Das Fatale daran: Mit jeder weiteren Person, die sich nicht respektvoll artikuliert, fehlt ein weiteres Vorbild für Höflichkeit – und sinkt die Hemmschwelle für andere, sich ebenfalls nicht respektvoll zu artikulieren.
Gefördert wird Unhöflichkeit meiner Meinung nach durch die Anonymität des heutigen elektronischen Verkehrs. Im Dschungel der Social Media ist man nur ein kleines Teilchen, als E-Mail-Absender nur ein gesichtsloses Wesen. Es ist zwar ein Leichtes, Personen zu googeln, aber die Kommunikation bleibt distanziert. Warum da höflich sein, erst recht, wenn die andere Person einen nicht gut oder gar nicht kennt? Vielleicht hat sie einen ja sogar selbst grußlos adressiert! Höflichkeit wird kalkuliert, zum Merkmal eines gewieften Geschäftssinns: Wird die angesprochene Person, wenn man sie höflich adressiert, so signifikant anders reagieren, dass es für einen selbst vorteilhaft ist? Wenn nicht: S. G.!
Angesichts einer Kultur, die unhöflicher wird – warum sollten wir als Einzelpersonen uns noch anstrengen, höflich zu sein? Warum nicht dem Trend folgen und einen knappen Ton anschlagen?
Weil Höflichkeit Wertschätzung der anderen Person ausdrückt. Deshalb lässt es uns auch nicht kalt, wenn das Gegenüber uns mit „S. G.“ adressiert oder keine Zeit für einen Plausch hat. Kommuniziert jemand unhöflich mit uns, bedeutet das im Grunde, dass er uns als nicht so wichtig betrachtet. Als unwichtiger als sich selbst. Und vielleicht sogar als unwichtig.
Indem Höflichkeit Respekt kommuniziert, macht sie den Umgang mit anderen Menschen angenehmer und erleichtert ihn so teils enorm. Plus: Höflichkeit vermittelt Sicherheit. Hat man bestimmte Umgangsformen verinnerlicht, weiß man in Gesellschaft anderer Leute, wie man sich verhalten sollte, und kann sich daran halten, besonders, wenn man sich nicht auskennt. Es haben sich wohl noch wenige beschwert, gesiezt zu werden, aber sicherlich schon viele, einfach geduzt zu werden.
Höflichkeit bedeutet Wertschätzung, friedliches Miteinander und Sicherheit – und bildet damit die Basis für unsere Gesellschaft, heute und künftig. Für die Werte, die Kindern vermittelt werden, mit denen sie aufwachsen und die sie später als Erwachsene zeigen, privat wie beruflich. Höflichkeit kann man nicht in wenigen Wochen erlernen wie Benimmregeln, sondern es ist eine Einstellung, die von Babybeinen an verinnerlicht werden muss.
Als Grundlage unserer Gesellschaft bildet Höflichkeit auch die unserer Berufswelt, vielleicht sogar mit die wichtigste. Der Wert von respektvollem Verhalten zeigt sich besonders bei der Bewerbung um eine Projekt-, Arbeits- oder Ausbildungsstelle: Ein höflicher erster Eindruck beim Vorstellungsgespräch, verbal und nonverbal gleichermaßen, ist generell ein positiver, denn er zeugt von guter Erziehung sowie ‚Kultur‘ und steigert so die Berufschancen. Wenn der Chef hingegen keine Höflichkeit im Bewerber oder Mitarbeiter erkennt, legt er eventuell keinen Wert auf eine weitere Bekanntschaft.
Mit meinen Blogartikeln möchte ich Lesern helfen, sich auf das zu fokussieren, was wirklich wichtig ist, weshalb ich am Ende gern konkrete Tipps gebe. Es erscheint mir zwar bizarr, Ratschläge für höfliche Kommunikation im Business zu geben, doch Letzteres ist nicht länger selbstverständlich.
Deshalb: Hier kommen sie, die Tipps …
a) Ehrlich wertschätzen: Benehmen ist wichtig, aber nur dann gut, wenn es echten Respekt des Gegenübers ausdrückt. Also nicht bloß Floskeln abhaken, sondern diese ehrlich meinen sowie eventuell individualisieren. Dies wird das Gegenüber merken und danken.
b) Siezen vor duzen: Blogartikel, Sachbücher & Co. – vieles ist heute in der Du-Form geschrieben. Kein Wunder duzen viele, vor allem Jüngere, automatisch. Aber: Einfach duzen ist nicht bloß ungewöhnlich, sondern nicht richtig, so Linda Kaiser, Vizevorsitzende der Knigge-Gesellschaft. Generell ist es am Ranghöheren, das Du anzubieten.
c) Sich höflich annähern: Grundsätzlich ist es in der Geschäftswelt ratsam, mit der höchsten Höflichkeit einzusteigen und sich dann anzunähern. In großen Unternehmen bleibt der Umgangston teils förmlicher, in kleineren bzw. jüngeren Betrieben fällt schneller ein „Du“ und „Hallo“.
d) Richtig anreden: Apropos „Hallo“ – damit beginnen immer mehr Mails, Briefe und dergleichen. Das bislang übliche „Sehr geehrter“ klingt steif? Mag sein, ist aber nach wie vor die übliche Anrede. Wobei nichts dagegenspricht, nach einer Weile zu „Guten Tag“ und schließlich zu „Hallo“ überzugehen, zumal heute deutlich mehr Mails hin- und hergehen als früher Briefe.
e) Danken und bitten: Danke und Bitte sind mit die ersten Wörter, die Kinder lernen, was schon zeigt, wie wichtig sie in unserer Kultur sind. Natürlich kann man auch mal „Gibst Du mir kurz den Stift?“ sagen. Aber grundsätzlich sollten Dankeschöns und Bitteschöns die Kommunikation garnieren. Nicht als erzwungene Floskel, sondern aus Freundlichkeit.
f) Nicht übertreiben: Höflichkeit ist gut und wichtig, darf aber nicht bedeuten, dass man alles schluckt und in jeder Situation freundlich ist. Man darf auch Nein sagen oder Kritik äußern – wenn, wichtig, es angebracht ist und man es auf wertschätzende Weise tut, indem man dem Gegenüber etwa erklärt, warum man nun Nein gesagt oder Kritik geäußert hat.
g) Sich entschuldigen: Jeder ist (aus Versehen) mal unhöflich, etwa weil er kränkelt, etwas Schlimmes erlebt hat oder schlicht mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Keiner ist perfekt! Und: Generell jeder erntet Verständnis für einen Ausrutscher, wenn er sich entschuldigt, den Fehler zugibt und vielleicht auch erklärt. Entschuldigungen sorgen für einen warmherzigen Umgang miteinander. Ob Du dabei „Entschuldigen Sie bitte“ oder kurz „Entschuldigung“ sagst, ist Dir überlassen. Der Gedanke zählt!
Kommunikation: Höflich und respektvolles Miteinander.
Fazit: Gerade in stressigen Zeiten werden die Sätze kürzer und knapper, und das ist in Ordnung. Jedoch sollte die Kommunikation auch dann über alle Medien hinweg höflich und respektvoll bleiben, gerade im Business. Höflichkeit kostet nichts – und ist die Art, wie wir selbst adressiert werden möchten. Viele sehen Höflichkeit nach wie vor als absolutes Muss für zwischenmenschliche Beziehungen und die, die das anders sehen, freuen sich bestimmt trotzdem darüber. So oft bekommt man nur wenige Augenblicke, um mit einem Menschen zu kommunizieren – da kann ein einziges, höfliches Wort bleibenden Eindruck hinterlassen.
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